Valeria - Der hohe Turm
Steampunk Märchenadaption
Inhalt von "Valeria - Der hohe Turm"
Fünf Jahre verbringt Valeria eingesperrt von ihrer Stiefmutter im Zimmer eines Turms von Turrim, einer Stadt hoch über dem Äther. Den Erdboden kennt sie nur aus Erzählungen, einzig und allein Ghule sollen dort noch leben: Menschen, die sich durch den Äther in blutrünstige Bestien verwandelt haben.
Doch als sie gegen ihren Willen in die Ehe mit einem grausamen Mann verkauft werden soll, wirkt der Erdboden immer verlockender. Besonders, als der junge Schmied Aaron an ihrem Fenster auftaucht und Valeria einen Weg aus ihrem Turm bietet.
Valeria entscheidet sich, ihm zu folgen, doch je näher sie seiner Heimatstadt kommen, desto merkwürdiger benimmt Aaron sich…
"Das Setting ist dunkel, gefährlich und wild, die Charaktere toll beschrieben und nahbar"
"Eine mehr als gelungene Märchenadaption, die sehr viel Spaß macht, und ein tolles Setting, das förmlich nach weiteren Geschichten schreit."
Leserstimmen auf Amazon
Lies die Rezension zu "Valeria - Der hohe Turm" bei Lesezauberzeilenreise
Wer gerne spannende Geschichte vor ungewöhnlichem Hintergrund liest und sowohl dem Western- wie auch dem Steampunk-Genre aufgeschlossen gegenübersteht, wird mit diesem Buch bestens bedient und unterhalten.
Amazon-Rezensentin
Ich habe den ersten Teil geradezu verschlungen und die Gegenwart kam mir bisweilen wie die eigentliche Phantasie vor.
Nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich spielt Jasmin Jülicher zu Recht in der oberen Liga der Selfpublisher.
Amazon-Rezensentin
"Wer Rapunzel mag und sich auf eine düstere Version freut, der sollte hier einen tieferen Blick riskieren."
Leserstimme
Leseprobe zu Valeria, der Steampunk-Märchenadaption von Rapunzel
I ch höre das Klimpern der Schlüssel an meiner Zimmertür und mein Blick wandert träge hinüber zur Uhr an der Wand. Sieben Uhr in der Früh. Jeden Tag, pünktlich auf die Minute. Mit einem Gähnen richte ich mich im Bett auf. Gerade, als die Tür aufschwingt, setze ich die bloßen Füße auf den Boden auf.
„Du bist ja immer noch im Bett.“ Die Hände in die Seiten gestemmt steht Magica dort. Meine Stiefmutter ist bereits tadellos gekleidet, ein edles Kleid aus blauer Seide umschmeichelt ihre Figur. Ihre Augen und Lippen sind geschminkt, doch in ihren Winkeln erkenne ich inzwischen die feinen Falten, die vor ein paar Jahren noch nicht dort waren. Ihre Haare sind zu einer komplizierten Hochsteckfrisur aufgesteckt. Jeden Morgen frage ich mich, wann sie dafür wohl aufsteht. Um vier Uhr in der Nacht? Vielleicht ist sie ein Ghul und muss nachts nicht schlafen. Dann würde genug Zeit für Haare, Make-Up und die Kleiderfrage bleiben. Ich unterdrücke ein Grinsen, als ich aus dem Bett aufstehe. Nein, natürlich ist sie kein Ghul. Nach dem, was ich gehört und dem, was ich in Büchern gelesen habe, sind die Ghule unten auf dem Erdboden im Aussehen kaum noch menschlich, eher wandelnde Leichen als lebende und atmende Menschen. Aber Make-Up kann so einiges verdecken…
„Zieh dich aus.“ Die harte Stimme meiner Stiefmutter peitscht in meine Gedanken und wie jeden Tag lasse ich mein Nachthemd einfach an meinem Körper herabgleiten. Nackt, nur in meiner Unterwäsche, stehe ich vor ihr. Ich vermeide es, sie anzusehen, blicke einfach an ihrem rechten Ohr vorbei an die Wand hinter ihr.
„Du isst nicht richtig“, zischt sie jetzt und kneift mir in den Bauch. „Oder du bewegst dich zu viel.“
„Nein“, gebe ich zurück. „Ich kann nichts dafür, ich…“
Doch Magica lässt mich gar nicht erst ausreden. „Du bist zu knochig. Du bist zwar jung, aber deswegen musst du nicht weniger wie eine Frau aussehen.“
Ich ziehe es vor, nicht auf ihre Worte zu antworten. Ich weiß genau, wie es jetzt weitergehen wird. Als nächstes bemängelt sie meinen zu kleinen Busen, dann meine hervorstechenden Rippen, als nächstes geht es weiter zu meinen zu rauen Ellenbogen, meiner fahlen Gesichtshaut und meinen abstehenden Ohren. Als sie zu meinen strohigen Haaren kommt, fixiere ich den Punkt hinter ihr so intensiv, dass ich das Gefühl habe, er müsste jeden Moment in Flammen aufgehen.
„Naja, dann wollen wir mal versuchen, das Ganze zu retten“, sagt Magica endlich mit einem letzten langen Blick auf mich und wendet sich ab, um die Flaschen, Tiegel, Bürsten und Feilen aus dem Schrank mit dem großen Vorhängeschloss zu holen.
Zuerst kommt das Unangenehmste: Magica schrubbt mich von oben bis unten mit einer groben Bürste und einer körnigen Paste ab. Angeblich soll die Prozedur meine Haut weich und rosig machen, allerdings habe ich jedes Mal das unangenehme Gefühl und die absurde Befürchtung, nach ihrer groben Behandlung besäße ich überhaupt keine Haut mehr, nur noch rohes Fleisch. Doch das Gefühl verfliegt, denn Magica reibt mich mit einer dicken Schicht einer weißen Creme ein, die nach Milch und Honig riecht.
„Nicht bewegen“, knurrt Magica, als ich einen Schritt zurückstolpere, weil sie die Creme mit so ruckartigen Bewegungen verteilt, dass ich das Gleichgewicht verliere. Nach dem Eincremen glänzt mein gesamter Körper weiß. Inzwischen weiß ich, es wird exakt eine Stunde und acht Minuten dauern, bis die Creme eingezogen ist und ich mich endlich – endlich – wieder anziehen darf.
Als nächstes kommen meine Füße an die Reihe. Auch sie werden geschrubbt, die Haut wird mit einem rauen Stein so lange bearbeitet, bis ich die Zähne zusammenbeißen muss, um nicht zu schreien. Auch die Füße werden im Anschluss eingecremt, aber mit einer dickeren Creme, die mit ihrer gelben Farbe wesentlich fettiger aussieht als die für meinen Körper. Ganz am Anfang, vor ungefähr fünf Jahren, kurze Zeit, nachdem mein Vater gestorben war, habe ich Magica gefragt, was das für Cremes sind und was sie dort mit mir macht. Eine Antwort habe ich nie erhalten, also hörte ich auf zu fragen. Inzwischen sehe ich die Prozedur jeden Tag als eine Art Buße oder Gebet an. In der Zeit, in der Magica meinen Körper schindet, nur um ihn dann wieder mit Creme zu bestreichen, denke ich in Ruhe nach. Ich lasse meine Gedanken wandern, bis ich das Gefühl habe, meinen Körper verlassen zu haben. Dann tragen meine Gedanken mich an fremde Orte, Orte, von denen ich in den zahllosen Büchern gelesen habe, die in den Regalen in meinem Zimmer stehen. Denn Bücher sind die einzige Zerstreuung, die Magica mir zugesteht. Sie sagt immer, ich müsste belesen sein, eine interessante Gesprächspartnerin. Ich weiß zwar nicht, für wen, schließlich ist Magica der einzige Mensch, den ich jemals zu Gesicht bekomme, aber vielleicht hat sie ja vor, sich eines Tages mit mir zu unterhalten. Vielleicht dann, wenn ich schön und auch interessant genug für sie bin.
Die Bürste, mit der Magica durch mein honigblondes Haar fährt, reißt an den Haarwurzeln und ich muss vor Schmerz blinzeln. Schon seit Jahren gebe ich bei der Prozedur keinen Ton mehr von mir, aber die Schmerzen bleiben immer gleich. Sie streicht mir mit der Bürste durch mein Haar, bis meine Kopfhaut ganz taub wird. Als sie endlich damit fertig ist, nimmt sie ein Fläschchen in die Hand. Sie gießt etwas von dem Inhalt in ihre Handfläche und verreibt es zwischen ihren Fingern, bis sie ölig glänzen. Ein intensiver Geruch nach Lavendel breitet sich im Raum aus. Mit präzisen, einstudierten Bewegungen knetet sie die ölige Flüssigkeit in die Spitzen meines hüftlangen Haares.
Ganz am Ende ist mein Gesicht an der Reihe. Ich schließe die Augen. So muss ich Magica nicht ansehen, nicht bei dem zusehen, was sie mit mir anstellt. Ich gebe mir Mühe, an das Buch zu denken, welches ich im Moment lese, darin geht es um die Zeit vor der Ätherkatastrophe. Es geht um einen Mann, der in einem riesigen U-Boot wohnt und damit die Weltmeere bereist.
Doch auch die Gedanken an die wundervollen Worte und die Welt darin, die mir so fremd ist, mir aber gleichzeitig so aufregend erscheint, können mich nicht vollständig von dem ablenken, was Magica mit meinem Gesicht veranstaltet. Auch die Haut dort wird geschrubbt, allerdings mit einer feinkörnigeren Paste als mein Körper, doch sie lässt keinen Zentimeter aus, selbst die empfindliche Haut unter meinen Augen wird nicht verschont. Im Anschluss träufelt sie eine dünne Flüssigkeit darauf, die auf meiner wunden Haut brennt. Ich kenne den Schmerz, ich weiß, er kommt, doch trotzdem zucke ich zusammen, was Magica nur mit einem Lachen kommentiert. Sofort macht sie weiter, trägt auf mein Gesicht eine dicke Schicht einer Creme auf, die unangenehm riecht und mich immer an das Krankenhaus erinnert, in dem mein Vater gestorben ist.
Danach bin ich endlich fertig für den heutigen Tag. Magica lässt von mir ab und tritt einen Schritt zurück, um mich mit zusammengekniffenen Augen zu betrachten. Ich frage mich, was das bringen soll. Mein Körper ist über und über mit einer weißen Cremeschicht bedeckt, Gesicht und Haare glänzen ölig. „Das wird werden“, murmelt Magica, bevor sie sich abwendet und alle Utensilien wieder im Schrank verstaut und das Schloss davor befestigt. Ohne einen weiteren Blick auf mich verlässt sie das Zimmer. Sie zieht die Tür hinter sich zu und ich höre, wie sie energisch zweimal abschließt. Mit einem Seufzer entweicht die Anspannung aus meinem Körper, die Magica immer in mir auslöst.
Mit spitzen Fingern greife ich nach meinem Buch, um darin zu lesen, bis die Creme eingezogen ist und ich mich endlich wieder anziehen kann. Doch da höre ich von draußen Gelächter und Rufe. Ich lege das Buch wieder zur Seite und gehe stattdessen zum Fenster hinüber. Halb hinter der Gardine verborgen luge ich hinaus. Unser Turm steht ganz am Rand von Turrim, der Blick aus meinem Fenster zeigt hinaus auf das Nichts, das sich hinter der Stadt erstreckt. Nun, Nichts ist vielleicht nicht ganz richtig. Ich sehe den Äthernebel am Boden, so dicht, so beständig, dass er nichts von dem preisgibt, was sich darunter befindet. An grauen Tagen schimmert er grünlich, an sonnigen fast gelb, aber er verschwindet niemals, nie habe ich eine Lücke darin gesehen. Wenn ich mich ganz dicht an die linke Kante meines Fensters stelle, kann ich einen winzigen Ausschnitt von Turrim sehen, genauer gesagt, die Brücke, die von unserem Turm zu dem unserer Nachbarn auf der linken Seite führt, den Masons. Zumindest haben die Masons früher dort gewohnt, ich habe oft mit ihrer Tochter Margy gespielt. Nur jetzt bin ich seit fast fünf Jahren in meinem Zimmer, ich habe den Turm seitdem nicht verlassen. Aber ich denke oft an die Menschen, die ich früher kannte. Was, wenn die Masons inzwischen tot sind? Oder Turrim verlassen haben?